In einer aktuell veröffentlichten Entscheidung hat das OLG München (Urt. v. 12.4.2022 - 18 U 6473/20) die Rechte der Inhaber von Social Media Accounts gestärkt. Facebook und andere Social Media Plattformen dürfen Social Media Accounts
in der Regel nicht ohne vorherige Anhörung sperren. Gesperrte Accounts müssen von den Social Media Plattformen umgehend freigeschaltet werden. Nur in eng umgrenzten Einzelfällen ist eine Sperre auch ohne vorherige Anhörung zulässig. Damit liegt das OLG München (18 U 6473/20) in seiner Entscheidung auf der Linie der Rechtsprechung des BGH.
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Was hat das OLG München entschieden?
Zunächst stellte der Senat fest, dass Facebook durch die Entfernung der Beiträge und der Sperrung des Social Media Accounts der Klägerin gegen seine Vertragspflichten verstoßen hat. Die von Facebook bereitgehaltenen Nutzungsbedingungen, nach denen sich Facebook die Sperrung von Social Media Accounts vorbehielt, waren nach Auffassung des OLG München (18 U 6473/20) unwirksam.
So führt der Senat wörtlich aus:
„Die in das Vertragsverhältnis der Parteien einbezogenen Klauseln in Nr. 3.2 und Nr. 1 der Nutzungsbedingungen i.V.m. Teil III Nr. 12 bzw. Teil I Nr. 2 der Gemeinschaftsstandards halten indessen einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB nicht stand. Der darin enthaltene Entfernungs- und Sperrungsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil ein verbindliches Verfahren zur Anhörung des betroffenen Nutzers fehlt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 51 ff.).
Die nach dem Bundesgerichtshof erforderliche Abwägung der einander gegenüberstehenden Grundrechte und Interessen der Parteien sowie der einzubeziehenden Drittinteressen ergibt, dass die Beklagte als Anbieterin eines sozialen Netzwerks zwar grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Einhaltung objektiver, überprüfbarer Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. In diesem Rahmen darf sie sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Maßnahmen zu ergreifen, die eine Entfernung einzelner Beiträge und die Sperrung des Netzwerkzugangs einschließen (vgl. BGH a.a.O., Leitsatz 2 und Rn. 78). Für einen interessengerechten Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen und damit die Wahrung der Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedoch erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen dazu verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt, mit der die Möglichkeit der Wiederzugänglichmachung des entfernten Beitrags einhergeht (vgl. BGH a.a.O., Leitsatz 3 und Rn. 85, 87 f.).
Diesen verfahrensrechtlichen Anforderungen genügen die Nutzungsbedingungen der Beklagten nicht. Ein verbindliches Verfahren, innerhalb dessen die von der Entfernung von Beiträgen und der Sperrung ihres Kontos betroffenen Nutzer Stellung nehmen können, ist dort nicht vorgesehen (vgl. BGH a.a.O., Rn. 93). Vielmehr räumt sich die Beklagte in Nr. 3.2 ihrer Nutzungsbedingungen einen weiten, im Einzelnen nicht nachvollziehbaren und sie im Ergebnis nahezu von jeglicher Anhörungsverpflichtung freistellenden Beurteilungsspielraum ein, die Nutzer über die Entfernung von Inhalten zu informieren oder nicht (vgl. BGH a.a.O., Rn. 94). Ebenso wenig wird den Nutzern in den Nutzungsbedingungen eine hinreichende Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt oder eine Verpflichtung der Beklagten statuiert, die Nutzer von sich aus über ergriffene Maßnahmen zu unterrichten, diese gegenüber den Nutzern zu begründen und ihnen die Gelegenheit zur Stellungnahme mit anschließender Neubescheidung einzuräumen (vgl. BGH a.a.O., Rn. 95 f.).“
Es sei nach Ansicht des OLG München (18 U 6473/20) auch nicht treuwidrig, wenn sich die Klägerin auf die Unwirksamkeit des Sperrvorbehalts in den Gemeinschaftsstandards beruft. Dass die Klägerin mit ihren Beiträgen womöglich selber gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen habe, entbindet Facebook jedoch nicht von der Pflicht, die Klägerin vor einer Sperrung ihres Social Media Accounts entsprechend anzuhören.
Das OLG München (18 U 6473/20) hat allerdings auch festgestellt, dass ein Anspruch auf Unterlassung künftiger Sperren, ohne vorab über die beabsichtigte Sperrung zu informieren und die Möglichkeit zur Gegenäußerung und anschließender Neubescheidung einzuräumen nicht besteht. Ein solcher Anspruch sei unbegründet, weil er Konstellationen erfasse, in denen der Betreiber einer Social Media Plattform im Einzelfall berechtigt ist, eine umgehende Sperre zu veranlassen, um Straftaten zu verhindern.
„Dennoch umfasst der Antrag weiterhin auch Konstellationen, in denen die Beklagte trotz der Unwirksamkeit des Lösch- und Sperrvorbehalts in ihren Nutzungsbedingungen die Möglichkeit haben muss, gesetzwidrige oder strafbare Inhalte effektiv zu beseitigen. Hierzu kann im Einzelfall, wie dem Senat aus anderen Fällen bekannt ist, auch die vorübergehende umgehende Sperrung eines Nutzerkontos nötig sein, wenn sie dazu dient, unmittelbar bevorstehende Straftaten zu verhindern oder das allgemeines Persönlichkeitsrecht Dritter vor konkret drohenden Angriffen zu schützen.“
Konsequenzen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG München ist die konsequente Fortsetzung der beiden BGH-Entscheidungen zur Sperrung von Social Media Accounts. Inhaber von Social Media Accounts müssen danach in der Regel vor einer Sperrung des gesamten Accounts angehört werden. Das gilt nach der Entscheidung des OLG München selbst dann, wenn die fraglichen Beiträge tatsächlich gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen.
Wird also ein Social Media Account gesperrt, ohne zuvor angehört worden zu sein, ist die Sperre in aller Regel per se unzulässig und muss aufgehoben werden. Das gilt selbst dann, wenn die Nutzungsbedingungen ein solches vorgeschaltetes Verfahren theoretisch vorsehen. Wird ein solches Verfahren tatsächlich nicht durchgeführt, ist eine Sperre des Social Media Accounts unzulässig.
Nur in Einzelfällen kann eine Sperre des Social Media Accounts auch ohne vorherige Anhörung erfolgen (siehe Löffel, Sofortige Kündigung eines Social-Media-Accounts ohne vorherige Abmahnung, GRUR-Prax 2022, 214 -"Eine Abmahnung und die damit verbundene Anhörung müssen klar erkennen lassen, durch welche Handlung ein Nutzer gegen welche konkret bezeichnete Regelung der AGB des Betreibers verstoßen haben soll."). Das OLG München geht davon aus, dass dies zur Vermeidung von Straftaten oder bei schweren Persönlichkeitsverletzungen der Fall ist. Dieses Recht hat auch der BGH den Plattformbetreibern zugebilligt. Daher haben Nutzer auch keinen Unterlassungsanspruch dahingehend, dass der Plattformbetreiber jede Sperre unterlässt, ohne zuvor ein Anhörungsverfahren durchgeführt zu haben.
Was man gegen eine unberechtigte Sperre des eigenen Social Media Accounts machen kann und welche Rechte man gegen die Plattformbetreiber hat, beschreibe ich in meinem ausführlichen Beitrag Was tun, wenn der Social Media Account gesperrt wurde?. Dort finden Sie auch eine Übersicht über die aktuelle Rechtsprechung zu unberechtigten Sperren von Social Media Accounts.
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