Nachdem sich in den vergangengen Montagen zahlreiche Gerichte die isolierte Verwendung des Begriffes "klimaneutral" in der Werbung als irreführend angesehen haben (eine Übersicht zu den aktuellen Urteilen finden Sie hier), hat nun das Landgericht Kleve (Urt. v. 22.6.2022 - 8 O 44/21), wie das OLG Schleswig-Holstein (Urt. v. 30.6.2022 - 6 U 46/21), eine hievon abweichende Entscheidung getroffen.

Damit ist umso wichtiger, dass sich der BGH bald mit dieser Frage befasst, um eine verbindliche Rechtsprechungslinie zu erhalten, an der sich werbende Unternehmen orientieren können.

Was hat das Landgericht Kleve zu klimaneutral entschieden?

Die Beklagte, ein Familienunternehmen, das Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz für Verbraucher herstellt, war in der Lebensmittelzeitung unter anderem mit der Werbeaussage "Seit 2021 produziert XXX alle Produkte klimaneutral".  Der Herstellungsprozess der Produkte der Beklagten läuft nicht CO2-neutral, was zwischen den Parteien unstreitig war. Allerdings unterstützt die Beklagte verschiedene Klimaschutzprojekte. Aus Sicht des Klägers sei die Werbung irreführend, da die Werbung so verstanden werden könne, dass der Herstellungsprozess selbst klimaneutral ablaufe. Die Irreführung könne nur insoweit ausgeräumt werden, wenn die Werbeaussage dahingehend ergänzt würde, dass die Klimaneutralität durch kompensatorische Maßnahmen hergestellt werde. 

Dieser Auffassung ist die Kammer des Landgerichts nicht gefolgt und einen Unterlassungsanspruch bejaht. So hat das Landgericht zunächst den angesprochenen Verkehrskreis näher bestimmt:

Auf dieser Basis hat das Landgericht sodann die konkrete Werbeaussage bewertet und eine Irreführung des angesprochenen Verkehrskreis verneint:

Diese Auslegung des Begriffes "klimaneutral" weicht von der bisherigen Rechtsprechung ab, wobei man insoweit festhalten muss, dass jeweils ein anderer Verkehrskreis angesprochen wurde. Zutreffend dürfte sein, dass der Begriff "klimaneutral" sowohl in die eine als auch in die andere Richtung verstanden werden kann, also einmal in der Weise, dass der Produktionsprozess CO2-neutral erfolgt oder in der Weise, dass die CO2-Neutralität durch Kompensationsmaßnahmen erfolgt. Es ist allerdings auch nicht fernliegend, die Aussage "Wir produzieren klimaneutral" auf den eigenen Herstellungsprozess zu beziehen. Durch die Verwendung der Formulierung "produzieren" wird gerade ein solcher Bezug hergestellt und ist sprachlich weniger offen, als es die Kammer in ihrer Entscheidung darstellt. Der insoweit offene Begriff "klimaneutral" wird durch die gewählte Formulierung auf den Herstellungsprozess konzentriert. Selbst das fachkundige Publikum wird davon ausgehen, dass der Herstellungsprozess der Beklagten CO2-neutral ist. Das ist er aber unstreitig nicht und damit ist die Aussage unwahr jedenfalls aber unklar. Unklarheiten gehen allerdings zulasten des Werbenden, sodass das Landgericht hier von einer Irreführung hätte ausgehen müssen, wenn die Beklagte nicht hinreichende Hinweise zur Erklärung des Begriffs "klimaneutral" erteilt hatte. 

Konsequent hat die Kammer auch keinen Verstoß gegen § 5a Abs. 2 UWG (in der Fassung bis zum 27.5.2022) gesehen:

Und auch einen Verstoß gegen § 5a Abs. 1 UWG (in der Fassung bis zum 27.5.2022) hat das Landgericht Kleve verneint:

Eine Informationspflicht des Unternehmers gegenüber sonstigen Marktteilnehmern besteht nur, wenn dieser nach Treu und Glauben oder Marktgepflogenheiten dies erwarten darf, wobei die beiderseitigen Interessen abzuwägen sind. Maßgeblich ist, in welchem Umfang der Markteilnehmer auf die Information angewiesen ist und dem Unternehmer eine Aufklärung zumutbar ist. Abzustellen ist dabei auf einen durchschnittlichen sonstigen Markteilnehmer, der angemessen gut informiert, aufmerksam und verständig ist (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Fedderssen: UWG, 40. Aufl. 2022, § 5a UWG, Rn. 2.10).

Für das von der Werbung angesprochene Fachpublikum, das grundsätzlich um die Möglichkeit der Kompensation zur Erreichung von Klimaneutralität weiß, war es ausreichend, in der Werbung einen Link zu yy anzugeben, unter dem sich die Informationen zur Kompensation finden, denn für einen sonstigen Markteilnehmer ist es – anders als für einen Verbraucher, der am Warenregal nach Blick auf die Produktverpackung die Kaufentscheidung trifft – üblich und zumutbar, sich über ein Produkt anhand von im Internet verfügbaren Informationen zu informieren.

Ausblick für die Praxis

Aus Sicht der werbenden Unternehmen ist diese Entscheidung sicher vorteilhaft. Richtet sich die Werbung an ein Fachpublikum, kann erwartet werden, dass der Begriff "klimaneutral" in seiner vollen Komplexität verstanden wird.  Das eröffnet die Möglichkeit bei der eigenen Werbung vage zu bleiben, ohne sich dem Vorwurf des Greenwashing aussetzen zu müssen. In Sicherheit sollte man sich allerdings nicht wiegen, denn wie gezeigt sind die Feststellungen der Kammer nicht zwingend, insbesondere wenn man nicht nur den Begriff "klimaneutral" isoliert bewertet, sondern im Kontext der konkreten Werbeaussage. Aus meiner Sicht macht es einen Unterschied, ob man mit der Aussage wirbt "Seit 2021 sind wir klimaneutral" oder mit der Aussage "Seit 2021 produzieren wir klimaneutral". Bei der ersten Aussage wird kein konkreter Bezug zum eigenen Herstellungsprozess hergestellt, sodass man den vagen Begriff "klimaneutral" nicht unbedingt auf den Produktionsprozess beziehen wird. Wirbt man aber im Sinne der zweiten Variante, ohne dass der Herstellungsprozess CO2-neutral ist, spricht meines Erachtens vieles dafür - insbesondere unter Berücksichtigung des strengen Maßstabes des BGH an umweltbezogener Werbung - hier eine Irreführung zu sehen, selbst wenn sich die konkrete Werbung an ein Fachpublikum richtet.    

Zu berücksichtigen ist am Ende auch, dass die Entscheidung auch nur vordergründig eine Erleichterung darstellt, denn für die Zulässigkeit der Nutzung des Begriffes "klimaneutral" außerhalb von Fachkreisen sagt die Kammer nichts. Wirbt ein Unternehmen also auf der Produktverpackung mit "klimaneutral", so kann zwar die Bewerbung dieses Produktes in einer Fachzeitschrift wie der Lebensmittelzeitung nach dem LG Kleve zulässig sein, im Übrigen aber unzulässig. Das gilt insbesondere dann, wenn sich die Werbung direkt an Endverbraucher richtet. 

 

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