LinkedIn ist für viele mittlerweile zu einer wichtigen Plattform für den Meinungsaustausch geworden. Gestartet als rein berufliches digitales Netzwerk entwickelt sich die Plattform zu einem "normalen" sozialen Netzwerk. Das führt zwangsläufig zu einer vermehrten Content Moderation, die dann auch in eine Löschung von Beiträgen oder die Sperrung des eigenen Accounts führen kann. Dabei wirken die Maßnahmen von LinkedIn teilweise genauso willkürlich, wie auf anderen Social-Media-Plattformen wie Twitter, TikTok oder Facebook. Beiträge, die bei näherer Betrachung zwar durchaus kontrovers sind aber noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind, werden kommentarlos gelöscht oder sind Auslöser für die Sperrung des eigenen Kontos. Jeder Versuch, gegen die Einschränkung der Nutzung vorzugehen, kann einen Nutzer in die Verzweiflung treiben. Der Kunden-Support reagiert stets mit gleichbleibenden Antworten. Eine echte Prüfung der Beschwerde - so scheint es - wird nicht vorgenommen. Damit bleibt am Ende die Einschränkung bestehen. Hiergegen kann man sich als Nutzer allerdings erfolgreich zur Wehr setzen!
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Kammergericht Berlin verbietet Sperrung eines LinkedIn-Accounts
Das Kammergericht Berlin (Beschl. v. 20.2.2023 - 10 W 85/22) hat in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss dieser Sperrpraxis von LinkedIn nun eine Absage erteilt und die Nutzungsbedingungen von LinkedIn, auf denen die Löschung von Beiträgen und die Sperre von Accounts beruhen, für unwirksam erklärt. Sie halten eine AGB-Kontrolle nicht Stand und benachteiligen die Nutzer einseitig. Hierzu führt das Kammergericht aus (Hervorhebung nur hier):
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20 (veröffentlicht unter anderem in BGHZ 230, 347 ff., K& R 2021, 723 ff. und AfP 2022, 147 ff.) entschieden, dass der Anbieter eines sozialen Netzwerks sich in seinen Geschäftsbedingungen zu verpflichten habe, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegendarstellung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließe, anderenfalls die Geschäftsbedingungen gemäß § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB unwirksam seien (vgl. BGH, a.a.O., amtlicher Leitsatz zu c). Die Regelungen der Antragsgegnerin sehen unstreitig eine solche Verfahrensweise nicht vor. Ein Nutzer wird im Gegenteil darauf – nach eigener Kenntniserlangung einer Kontoeinschränkung oder Entfernung eines Inhalts – verwiesen, selbst aktiv zu werden und mit einem „Einspruchsverfahren“ zu beginnen. Das ist nicht interessengerecht im Sinne des § 307 BGB (BGH, a.a.O. Randnummer 96).
Diese Feststellungen sind bemerkenswert, denn wenn die Festellungen des Kammgerichts sich durchsetzen und die Nutzungsbedingungen von LinkedIn in diesem Punkt unwirksam sind, sind derzeit sämtliche Kontoeinschränkungen, sei es die Löschung von Beiträgen oder die Sperre ganzer Accounts, unzulässig, sofern diese mit einem Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen begründet wurden. Hiervon sind nach der zitierten Rechtsprechung des BGH allerdings solche Beschränkungen ausgenommen, die ausnahmsweise auch ohne eine vorherige Möglichkeit zur Stellungnahme verhängt werden durften. Das betrifft jedoch nur schwerwiegende Verstöße.
LinkedIn ist ein soziales Netwerk wie Twitter, TikTok oder Facebook
Das Kammergricht Berlin hat in seiner Entscheidung auch klargestellt, dass auf LinkedIn die Feststellungen des BGH ebenfalls anwendbar sind. Insofern unterscheide sich LinkedIn nämlich nicht von anderen Social-Media-Plattformen. Hierzu führt der Senat wörtlich aus:
Die vom Bundesgerichtshof in Bezug auf eines der am meisten verbreiteten sozialen Netzwerke aufgestellten Grundsätze sind entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin anwendbar, selbst für den Fall, dass ihr keine marktbeherrschende Stellung zukommt. Auf die Richtigkeit des Vortrages des Antragstellers, eine marktbeherrschende Stellung der Antragsgegnerin für das Segment der beruflichen Netzwerke ergebe sich aus ihrer eigenen Bezeichnung als diesbezüglich weltweit größtes Netzwerk, kommt es daher nicht entscheidungserheblich an. Der Bundesgerichtshof hat den Aspekt einer marktbeherrschenden Stellung eines sozialen Netzwerkes im Zusammenhang mit der Bindung eines Betreibers an gleichheitsrechtliche Anforderungen gemäß Artikel 3 Absatz 1 GG angeführt. Es handelt sich dabei um einen ergänzenden Gesichtspunkt (vgl. BGH, a.a.O. Randnummer 63: „Darüber hinaus ist zugunsten der Klägerin das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten.“). Die tragenden Erwägungen des Bundesgerichtshofes beziehen sich auf die „Wirkkraft“ bzw. Reichweite des Grundrechts der Nutzer auf freie Meinungsäußerung aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG, das über die so genannte mittelbare Drittwirkung auch im Privatrecht zu berücksichtigen ist (BGH, a.a.O. Randnummer 54).
Diese Feststellungen des Kammergerichts sind für LinkedIn auch aus einem weiteren Grund nicht ganz unbedeutend. Die Pflichten aus dem NetzDG treffen nach § 1 Abs. 1 NetzDG sämtliche sozialen Netzwerke, insbesondere, wenn sie dazu bestimmt sind, dass beliebige Inhalte auf ihnen ausgetauscht werden. Laut Statista hatte LinkedIn in der DACH-Region im Januar 2023 ca. 19 Mio. Mitglieder. Damit könnte sich LinkedIn auch nicht auf die Ausnahmevorschrift in § 1 Abs. 2 NetzDG berufen.
Neben weiteren Pflichten (z.B. Vorhalten eines Gegenvorstellungsverfahrens) sind die Anbieter solcher sozialen Netzwerke nach § 5 NetzDG auch verpflichtet, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Einen solchen wird man - soweit ersichtlich - auf LinkedIn nicht finden, denn man stellt sich dort vermutlich auf den Standpunkt, dass die Regelungen des NetzDG auf LinkedIn keine Anwendung finden. Hergeleitet wird diese Ansicht wohl aus dem Ausschlussgrund in § 1 Abs. 1 S. 3 NetzDG, wonach als soziale Netzwerke solche Plattformen nicht gelten, die zur Verbreitung spezifischer Inhalte bestimmt sind. Die Gesetzesbegründung zählt hierzu grundsätzlich auch berufliche Netzwerke. Gemeint waren allerdings nur solche (beruflichen) Plattformen, in denen nur (!) sepzifische Inhalte verbreitet werden. Das mag für LinkedIn in der Vergangenheit vielleicht einmal gegolten haben, wie das Kammergericht zurecht festgestellt hat, ist das aktuell nicht mehr der Fall, sodass LinkedIn in den Anwendungsbereich des NetzDG fällt und auch die dort geregelten Pflichten einzuhalten hat. LinkedIn müsste damit auch ein entsprechendes Gegenvorstellungsverfahren vorhalten. Das ist allerdings nicht der Fall.
Auf diese Unterscheidung wird es künftig nicht mehr ankommen, denn nach dem Digital Service Act (DSA) sind sämtliche soziale Netzwerke (als sog. Vermittlungsdienste) erfasst. Die Beschränkung auf spezifische Inhalte führt daher nicht zu einem Ausschluss des Anwendungsbereichs des DSA.
Anspruch auf Freischaltung des LinkedIn-Accounts
Die Entscheidung des Kammergericht Berlin ist für Nutzer von LinkedIn von erheblicher praktischer Relevanz. Wer sich schon einmal mit LinkedIn wegen einer Konto-Sperre auseinandersetzen musste, konnte an der Beharrlichkeit von LinkedIn geradezu verzweifeln. Das Kammergericht gibt Betroffenen jetzt eine starkes Argument mehr an die Hand, gegen eine unberechtigte Sperre erfolgreich vorgehen zu können. Auch LinkedIn muss also nach dieser Entscheidung vor einer Sperrung des Accounts den Nutzer anhören und ihm die Möglichkeit geben, hierzu Stellung zu nehmen. Nicht ausreichend ist es, dass LinkedIn den Account sperrt und den Nutzer dazu zwingt, sich naträglich gegen diese Sperre zu wehren. Zurecht hat das Kammergericht Berlin dem Nutzer einen vertraglichen Anspruch auf Freischaltung seines LinkedIn-Accounts sowie seiner gelöschten Beiträge zugesprochen.
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